Fritz Pietz
Sektierer
Sollte man Sekt trinkende Menschen Sektierer nennen? Eine Frage, die bisher nicht wirklich wissenschaftlich angegangen wurde und deshalb möchte ich mich dieser Frage einmal zuwenden. Schauen wir uns zunächst einmal die sprachliche Herkunft der beiden Wörter an. Man könnte meinen, die beiden Wörtchen „Sekt“ und „Sektierer“ kämen aus dem gleichen lateinischen Wortstamm, von „secessio“, was soviel wie „trennen, abschneiden“ bedeutet. Ja, der Ursprung jeden Sektes ist die Traube, und die wird vom Rebstock abgeschnitten. Treffer! Und auch die Sektierer sind irgendwie abgetrennt und abgeschnitten. Wovon? Vom Mainstream natürlich. Aber diese Grundannahme eines gemeinsamen Wortstammes ist leider falsch! „Sekt“ kommt von „secco“ - gleich „trocken“. Daran hätte man nun bei „Sekt“ gerade nicht gedacht. Ist Sekt etwas für trockene Alkoholiker? Mitnichten! Geht es bei Sekt um Trockenheit? Nein, im Gegenteil: Es geht um ein flüssiges Etwas, etwas, was die Trockenheit in der Kehle bekämpft, und zwar erfolgreich! Das ist schon irgendwie raffiniert gemacht von den Sektkellereien. Bei „Sekt“ soll man an Trockenheit denken, was unmittelbar bei jedem Menschen einen starken Durstreiz auslöst. Und womit man dann diesen Durst bekämpfen sollte, dürfte auch klar sein.
Das Wörtchen „Sektierer“ leitet sich demgegenüber von „secta“ ab, was etymologisch „Richtung“ oder „befolgter Grundsatz“ bedeutet. „Sektierer“ sind Anhänger einer Glaubensgemeinschaft, die sich von der „Mutterreligion“ abgespalten haben“ (Danke, Wikipedia. Ich hätt's nicht besser ausdrücken können). Die Mutterreligion der Sekttrinker ist natürlich die Religion der Weintrinker, deren Credo ja lautet: „In vino veritas – in Wein ist Wahrheit“). Diese Glaubensgemeinschaft ist auf der ganzen Welt vertreten, sie hat unzählige Dependancen und ist sogar in die katholische Kirche hinübergeschwappt, die ja den Wein zu Christi Blut er- und verklärt hat. Weintrinker treffen sich oft abends mit ihren Glaubensbrüdern und -schwestern, feiern ihre Religion und trinken dabei ihren glaubensstiftenden Saft. Später am Abend werden liturgische Gesänge angestimmt „Wenn das Wasser im Rhein goldner Wein wär, ja dann möchte ich gern ein Fischlein sein“ - was in etwa dem christlichen Lied „Großer Gott, wir loben dich“ entspricht. Auch wird bei diesen heidnischen „Messen“ nicht nur Wein getrunken, sondern auch – wie bei den Katholiken – Brot gegessen: Schmalzbrote, Focaccia, Baguette mit Aioli-Dip oder auch sog. „Salzstangen“. Die Religion der „Weintrinker“ ist eine der erfolgreichsten Religionen in der Religionsgeschichte. Und dies, obwohl sie auch einige Abspaltungen hinnehmen musste. Und eine der Abspaltungen sind natürlich die Sekttrinker oder auch „Sektierer“ genannt. Sie haben sich von den Weintrinkern abgespalten, in erster Linie wegen ihres Dünkels. Sie wähnen sich etwas besseres zu sein und trinken ihren Sekt meistens mit einem abgespreizten kleinen Finger als Zeichen ihres Glaubens. Von ihrer Mutterreligion haben sie jedoch die Idee der Dreifaltigkeit übernommen. Ihre Dreifaltigkeit heißt Champagner, Winzersekt und Rotkäppchen. Champagner ist das Höchste und Himmlischte! Es wird aus einem streng definierten Gebiet in Frankreich importiert. Rotkäppchen-Sekt hingegen, aus dem Osten Deutschlands kommend, hat ein sehr irdisches Terroir und ist daher bei den westlichen Glaubensbrüdern schon irgendwie mit einem schlechten Image behaftet. Was bei den Katholiken der Heilige Geist ist, ist bei den Sektierern der Winzersekt, das verbindende Glied zwischen Himmel und Erde. Ja, man kann die Sekt-Trinker mit Fug und Recht als Sektierer bezeichnen. Beide Religionen sind jedoch gegenseitig sehr tolerant und stellen daher eine seltene Spezies unter den Weltreligionen dar. Sie bauen keine gegenseitigen Feindbilder auf, sie erklären sich nicht für allein seligmachend und auch nicht für Gottes exklusive Botschafter auf Erden. Nein, sie feiern sogar oft zusammen – erst mit Sekt, dann mit Wein. Wein- und Sekttrinker sind somit eigentlich Vorbilder für die Völker und Religionen auf diesem Planeten, wenn es um das friedliche Zusammenleben geht. Zum Wohle!





