Gudrun Liening
Freundschaft
Der Whiskey floss aus der Flasche auf den Teppichboden. Der Raum roch nach Alkohol und abgestandener Luft. Auf dem Tisch stapelten sich schmutzige Gläser.
Adnan wollte kommen und mit ihm reden. Was gab's da zu reden?
Irgendwann musste er eingeschlafen sein. Durch die Klingel an der Haustür wurde er geweckt. Es war hell. War er das schon? Adnan?
Er lag im Anzug auf der Couch, das leere Glas neben sich. Wieder klingelte es an der Haustür. Wenn das Adnan war, brauchte er noch einen Whiskey ...! Er öffnete eine neue Flasche, goss sein Glas voll und leerte es in einem Zug. Wieder klingelte es. Langsam ging er zur Tür und öffnete sie. Im Türrahmen stand Adnan. Groß, schlank, dunkler Teint, zurückgekämmtes schwarzes Haar. »Hallo, Kai!«
Kai trat schweigend zur Seite, ließ ihn vorbeigehen und schloss die Tür. Adnan schaute ihn an: »Lass uns reden, wir waren doch immer gute Freunde!«
»Waren! Du hast unsere Freundschaft missbraucht.
Ganz hinterhältig missbraucht. Ich hasse dich!«
»Du bist betrunken!« Kai zuckte mit den Schultern.
Adnan nahm die Flasche vom Fußboden auf und stellte sie auf den Tisch.
»Du säufst nun schon seit Wochen!«
»Du bist doch an allem schuld. Du hast mein Leben zerstört.«
Adnan lehnte sich an den Türrahmen: »Liebe kann man nicht erzwingen und Hanne liebt dich eben nicht mehr. Wenn ich es nicht gewesen wäre, wäre irgendwann ein anderer gekommen.«
»Du hast unsere Freundschaft verraten. Wer hat mit dir gelernt, als du von der Schule fliegen solltest? Du hast das doch alles nicht kapiert! Meinen Fußball habe ich sogar für dich vernachlässigt. Wie ein Bruder war ich zu dir. Ist das der Dank? Rede endlich, du Mistkerl. Was hat man auch schon von euch zu erwarten. Elendes Kuckucksei!«
Adnan schob ein paar Gläser zur Seite und legte einen Brief auf den Couchtisch: »Hier, lies ihn, Hanne hat ihn für dich mitgegeben, darin hat sie dir alles erklärt.«
»Das hast du ja super eingefädelt. Trägt sie auch schon ein Kopftuch?«
Kai sah zur Flasche, nahm sie, schwang sie hoch und zielt in Richtung auf Adnans Kopf. Adnan versuchte ihn abzuwehren, doch die Flasche traf ihn. Er schrie kurz auf. Ihn durchfuhr ein heftiger Schmerz. Er blutete.
Kai griff zur nächsten Flasche, die konnte Adnan ihm gerade noch entreißen.
»Bist du wahnsinnig?«
Adnan presste sein Taschentuch gegen die Wunde.
»Komm endlich zu Verstand! Sollen wir uns jetzt gegenseitig totschlagen? Soll so unsere Freundschaft enden?«
»Das ist mir egal.« Kai griff nach dem Korkenzieher.
Adnan riss ihm den Korkenzieher aus der Hand, warf ihn zu Boden und rannte aus der Wohnung.





