Mechthild Overbeck-Neuhaus

Fallobst

Der Tag begann mit Berichten zur Lage der Welt. Sie warfen einen Schatten auf den vergangenen Tag und einen gebrochenen schiefen Schatten auf den Tag, der vor mir lag. Ausgerechnet ein Samstag.
Ich beschloss, an diesem Tag mit dem Zug in eine andere Stadt zu fahren, als könnte ich so den schlechten Nachrichten erst einmal entkommen. Ich wollte einfach mal etwas anderes sehen.
Ich kenne Menschen, die regelmäßig in die Nachbarstadt fahren, um dort auf den Markt zu gehen. 30 km Anfahrt, zumeist mit dem Auto, für schönere Porreestangen, glänzendere Äpfel und wegen der unglaublichen Auswahl an Käsesorten. Kaffeeduft am Fuße des Doms, aus dem gelegentlich unter Glockengeläut mit Segnungsabsicht ein Hauch von Weihrauch über die Marktstände wabert. Man sieht einige sehr schicke Einkaufstaschen, die man seltsamerweise Shopper nennt, als erledigten sich Einkäufe von allein. Markenbewusste Marktbesucher schlendern dem mittäglichen Samstagsritual entgegen, eine Kleinigkeit zu essen, einen Prosecco zu trinken. Frauen mit Einkaufskorb und Kind an der Hand sichten die Angebote und Männer in Outdoorkleidung mit gebuchter Stadtführung vertreiben sich die Wartezeit an den Ständen. Gelegentlich sieht man dazwischen auch Menschen mit schwerem Gang und streunendem Blick, die unabsichtlich die Aufgabe erfüllen, dass andere sich reicher, gesünder oder gleichgültiger fühlen.

An diesem Tag fiel einer von ihnen um, rutschte mit dem Oberkörper über die Auslage am Obststand und fiel dann mit den weitgereisten Früchten zu Boden, Kiwis, Mangos und Ananas.

Der Obstverkäufer kam ihm als erster zu Hilfe, während die Kundschaft irritiert stehenblieb und den Kontrast von fröhlichem Obst und dunkler, abgewetzter Kleidung erkannte. „Einfach umgefallen“, rief eine ältere Frau, „ der muss betrunken sein.“ Langsam konnte der Mann seinen Oberkörper anheben, stützte sich auf dem Unterarm ab und man sah, dass er an der Stirn blutete. Ich reichte ihm ein Taschentuch. Er nahm es verlegen an, tupfte sich die Stirn ab und versuchte dann umständlich, sich aufzurichten. „Am helllichten Tag schon betrunken“, sagte die Frau und fuchtelte mit einer Schlangengurke in seine Richtung. Mit einem Mal sprang der Mann auf, stolperte einige Schritte und rannte durch die Gasse davon. Der Obstverkäufer fluchte, hatte der Mann doch einfach zwei Ananas beim Schopf gepackt und mitgehen lassen. Da erhob sich Volksgemurmel von unglaublich bis Frechheit, von unverschämt bis diese Ausländer, müsste direkt abgeschoben werden. Krampfhaft bemühte ich mich, nicht weiter hinzuhören. Ich wollte heute doch nur mal was anderes sehen.
Stattdessen betrachtete ich das Fallobst und musste daran denken, wie schnell sich doch braune Flecken entwickeln.